Bin Jip
Verfasst: 21.06.2005, 14:03

Bin Jip
Schweigende Menschen in leeren Häusern
Der Regisseur und Autodidakt Kim Ki-duk («Printemps, été, automne, hiver... et printemps») gilt als einer der talentiertesten koreanischen Filmemacher der neuen Generation. Für «Bin-Jip» hat er in Venedig 2004 den Silbernen Löwen für die beste Regie erhalten.
Man mag sich im ersten Moment an «Die fetten Jahre sind vorbei» erinnern: Ein junger Mann kurvt auf dem Motorrad durch Wohngegenden und klebt Pizzaflyers an die Türen. Wenn sie am Abend noch dort hängen, weiss er, dass niemand zu Hause ist und bricht ein. Mit grosser Selbstverständlichkeit kocht er sich eine Mahlzeit, sucht sich eine Zahnbürste aus, betrachtet Fotoalben und sieht fern.
Anders aber als die Protagonisten aus «Die fetten Jahre sind vorbei» ist Tae-suks Motivation keine politische. Man weiss von ihm, dass er studiert hat - dass er folglich kaum aus armen Verhältnissen stammt und im Grunde die Chance zur Teilhabe an der Gesellschaft hätte. Aber die Gründe für die gewählte Lebensform bleiben unbekannt; möglicherweise auch ihm selber, und dies macht ihn so liebenswürdig: Selbstverständlich bewegt er sich in den fremden Räumen und repariert hier eine Waage, dort eine Spielzeugpistole oder eine Uhr. Mit rührendem Pflichtbewusstsein besprüht er die Zimmerpflanzen, sammelt die Wäsche der Bewohner ein und schrubbt sie am Boden des Badezimmers.
Eines Tages dringt er in Sun-hwas Wohnung ein, ohne zu merken, dass sie zuhause ist. Es kommt zu einer flüchtigen Begegnung, die vom heimkehrenden Ehemann gestört wird. Als Tae-suk mit ansieht, wie dieser Sun-hwa misshandelt, rettet er sie. Bald brechen sie gemeinsam in Häuser ein, und eine stumme Vertrautheit entwickelt sich zwischen ihnen. Doch ihr unbeschwertes Leben ändert sich, als sie in einer Wohnung eine Leiche vorfinden.
Kim Ki-duk nutzt die visuelle Stärke des Filmmediums: Die Geschichte entwickelt sich grösstenteils über Handlungen und Bilder. Abgesehen von der spärlich eingesetzten Musik, die meist nur erklingt, wenn die Quelle sichtbar ist, verständigt sich das Paar wortlos, verzichtet aber ebenso auf eine ausgeprägte Gestik und Mimik. Und selbst als Tae-suk von einem Polizisten mit Gewalt zum Sprechen gebracht wird, lässt sich seine Antwort nur über Zweitpersonen erschliessen. Bis zum Ende des Films bewahren die beiden Figuren so etwas geheimnisvolles, unergründliches.
Subtil zeigt Kim Ki-duk die Entwicklung von der geschlagenen, unsicheren Gattin zur selbstbewussten Frau auf. Kaum merklich, und ohne aktives Zutun von Tae-suk wandelt sie sich, nimmt an seinen Ritualen in den Wohnungen teil: «Wir sind alle leere Häuser, die darauf warten, dass jemand die Tür öffnet und uns befreit», kommentiert der Regisseur seinen Film, «und eines Tages erscheint ein Mann wie ein Phantom und öffnet die Tür, um mich mitzunehmen.» Und schliesslich scheint Sun-hwa ihren ursprünglichen Retter gar an innerer Kraft zu übertreffen. Plötzlich ist man sich nicht mehr sicher, ob Tae-suk real oder bloss ein Schatten, ein unsichtbarer Kobold ist. Oder existiert er gar nur im Unbewussten Sun-hwas?
Mit «Bin-Jip» ist ein wunderbar poetischer Film entstanden: feinsinnig, melancholisch und vergnüglich zugleich.
(Text: Andrea Lüthi www.cineman.ch)
so...geh den heute Abend gucken! Hat jemand Warnungen oder Lob ausszusprechen? Nur zu!
