Torque hat geschrieben:Im Zusammenhang mit kulturmarxismus wird auch immer mal wieder auf die Frankfurter Schule verwiesen. Wobei mir, als ich mich damit mal näher befassen wollte, der terminus so in dieser form nicht unterkam.
Das liegt vielleicht daran, dass der Begriff "Kulturmarxismus" eine Erfindung der "Neuen Rechten" ist, die sich gerne mal solche Kofferworte zusammenbasteln, um überhaupt eine Angriffs- und Projektionsfläche für ihre luftleeren "kulturkonservativen" Ideen zu haben? Die Frankfurter Schule befasste sich u.a. kritisch mit dem Marxismus im Hinblick auf die neuen Zustandsformen der Gesellschaft des Post-WWI, hat seit 1968 aber ein bisschen den Nimbus eines linksrevolutionären Aktionismus, was aber nicht deren Schuld ist, sondern auf eine der Hauptkrankheiten der Moderne zurückgeht: die Tendenz, im Rahmen akademischen Diskurses und moderner "Debattierkunst" alles totzuabstrahieren und eben genau DIE Art positivistischer Kategorisierung zu vollziehen, die jene Frankfurter Schule (im Falle des Marxismus) am Kommunismus Lenins etc. kritisierte. Marcuse Superstar...
Breivik benutzt dieses Kunstwort in seinem "Manifest" als Synonym für "Political Correctness" (für die er eben die Frankfurter Schule fälschlicherweise verantwortlich macht) und kritisiert daran die Einebnung aller kulturellen Unterschiede in Form einer "kommunistischen" (linksfundiert liberalistischen) Gleichschaltung. Damit meint er, alles das bequem (und schreibfaul, wie's scheint) einfassen zu können, was Schuld sei an der Globalisierung, Einwanderung etc. Allerdings ergibt sich aus seinem "postmodernen" Copy/Paste-Geschwafel (dabei ist er doch GEGEN alle Form des (De)Konstruktivismus und FÜR Geschichte als einer objektiven Instanz, schon hier zeigt sich, dass er ein Trottel ist) eine etwas kärgliche Argumentationsbasis für dieses Problem, eine rein auf "Kulturkampf" reduzierte Ansichtsweise, die für eines der Hauptprobleme dafür blind zu sein scheint: den Neoliberalismus (Varg V. nannte das in seiner Stellungnahme ja etwas vereinfacht "Judentum", es sei ihm gegönnt, er muss ja seinen kaufkräftigen Fans die von ihm erwartete Show abliefern), was nichts anderes ist als Liberalismus plus Kapitalismus. Breivik erklärt also dem liberalistischen Grundtenor der Moderne den Krieg, entlarvt sich aber in seiner unsinnigen Sympathie für den ganzen neoliberalistischen USrael-Komplex selber als Anhänger davon. Und nur dadurch erklärt sich auch sein Irrsinn, ganze Passagen des Unabombermanifests Ted Kaczynskis zu kopieren und anstelle des dort entwickelten Kernbegriffs des "Leftism", einfach "Marxism" etc. einzufügen. Kaczynskis Manifest trägt den Titel "Industrial Society and its Future" und kritisiert eigentlich genau DIE Gesellschaftsform, der Breivik mit seiner Pro-USrael-Argumentation anhängt. Mit anderen Worten: "Leftism" ist nach Ansicht Kaczynskis genau das, wofür Breivik 77 Menschen getötet hat. Vielleicht hat er Kaczynskis Namen deswegen nirgends vermerkt...
Seltsam auch, dass er Wilhelm Reich als einen der Grundpfeiler der Frankfurter Schule erwähnt, was so gar nicht stimmt. Reich wurde bestenfalls marginal rezipiert. Interessant daran ist, dass Reich der Ansicht war, sexuelle Befreiung berge in sich das Potential für Revolution, also sexuelle Befreiung --> revolutionäres Potential für einen gesellschaftlichen Umsturz etc., was sich als Schwachsinn herausgestellt hat. Marcuse z.B. vertrat ja in seinem Werk "Der Eindimensionale Mensch" die Ansicht, die moderne Gesellschaftsform habe in ihrem Anspruch freiheitlicher Selbstbestimmung des Individuums eben gerade TOTALITÄREN Charakter, weil die Gesellschaft selbst die Bedürfnisse kreiere, deren Befriedigung dem Individuum Freiheit vorgaukle, womit alle Formen freiheitlicher Selbstbestimmung das effektivste Mittel seien, die Menschen im Rahmen der eigenen gesellschaftlichen Agenda unter Kontrolle zu halten. Da hat der USraelianer Breivik wohl etwas falsch verstanden... was er auch grad unter Beweis stellte, als er vor bald zwei Wochen mal selber schnell "Revolution" spielte, um sein "konservatives" Wertegefüge mit eingebauten 50er-Jahre-Blüemlisex-Fantasien zu verteidigen. In diesem Sinne birgt wohl offenbar das genaue Gegenteil, nämlich sexuelle Verkorkstheit, das Potential für "Revolutionen".
Torque hat geschrieben: Eine neue version der aufklärung, unabhängigkeit/mündigkeit der bürger von gesellschaftl. strukturen/zwängen, ende der beherschung des menschen durch herrschaft über die natur, herschaftsfreie kommunikation im diskurs und huldigung der dialektik als fördermittel ebenjener Unmündigkeit. GIbt sicher besseres aber das ncihts, was einen auf 90 kiddies schießen lassen würder, oder?
Sooo toll ist die "Aufklärung" allerdings nun auch wieder nicht, egal, ob in der philosophischen Originalfassung Kants oder der hegelianisch aufgepimpten Coverversion der Frankfurter Schule, weil sie die Vernunft zur Instanz des ethischen Diskurses erklärt, also quasi den Religionen/Konfessionen das "Machtmittel" hierzu entreisst. Was auf den ersten Blick vielleicht als "Fortschritt" erscheint, zeigt seine Kehrseite wunderschön am Bsp. jenes Herren, über den hier "diskutiert" wurde:
http://92.205.176.165/plesk-site-preview/www.schwermetall.ch/https/92.205.176.165/forum/ftopic3880-s2340.php
Nur scheint hier offenbar niemand begriffen zu haben, was Sades eigentliche Leistung war, nämlich den Vertretern der "Aufklärung" vorzuführen, wohin die entregelte "Vernunft" schnell mal münden kann: in eine totale Gegen-Ethik, die sich aus derselben Argumentationskette der "Aufklärer" ergibt. Wofür wiederum Breivik ein Beispiel ist. Sein Manifest klaubt sich seine Argumente ja nicht aus dem heiterem Himmel der Irrationalität zusammen, sondern argumentiert mit genau denselben Mitteln, die seine Gegner anwenden, nur führen verschiedene Ausgangslagen zu verschiedenen Ergebnissen. Ob man's nun glaubt oder nicht: Breivik gebärdet sich aufklärerisch. Da nützen auch diese ganzen manichäischen Kategorisierungen von Schundblättern wie dem Blick oder der Bild nichts, die ihn zum "blonden Teufel" stilisieren - wahrscheinlich nur deshalb, weil sie zu faul sind, sich tiefer mit dieser ganzen Gegenbewegung zu befassen. Ist ja auch beruhigender und schlagzeilenträchtiger (nicht zuletzt auch für die Leser dieser Käseblätter) zu "wissen", dass Breivik kein Mensch, kein Mitglied unserer modernen, "aufklärerischen" Welt, sondern schlicht eine Bestie ist.