John Wray scheitert mit "Unter Wölfen" auf bemerkenswert konsequente Weise...
John Wray scheitert mit "Unter Wölfen" auf bemerkenswert konsequente Weise an seinem eigenen Anspruch. Was laut Buchrücken eine vielschichtige Liebesgeschichte, ein Künstlerroman, ein Thriller und eine poetische Zeitreise mit gewaltigem Soundtrack sein soll, liest sich am Ende wie die unfertige Projektarbeit eines allzu begeisterten Teenagers mit übergroßer Plattensammlung.
Die Grundidee ist zunächst tatsächlich sympathisch: eine Reise durch die medial kaum literarisierte Death-Metal-Szene der späten Achtziger, vom Florida-Underground über die Bay Area bis zum frühen Black Metal in Norwegen. Für jugendliche Leserinnen und Leser, die diese Tour de Horizon gern auf dem Rücken eines Protagonisten miterleben möchten und denen eine lose Aneinanderreihung halbgarer „wahrer Begebenheiten“ genügt, mag das streckenweise unterhaltsam sein. Literarischen Mehrwert entfaltet der Roman daraus jedoch nicht.
Die Figuren bleiben skizzenhaft bis beliebig. Kip Norvald ist der Inbegriff des Allerweltshelden: brav, sensibel, ungewöhnlich ohne jemals wirklich interessant zu werden. Kiras psychische Probleme wirken wie aus einem billigen Herz-Schmerz-Roman entlehnt, nicht ernsthaft durchdrungen, sondern funktional eingesetzt. Die Liebesgeschichte zwischen beiden passt weder tonal noch atmosphärisch in die behauptete Welt aus Härte, Exzess und existenzieller Bedrohung. Statt Spannung erzeugt sie Fremdscham.
Besonders unerquicklich sind die zahllosen schwulen Anekdoten, die weniger zur Charakterentwicklung beitragen als vielmehr den Eindruck erwecken, hier werde Diversität ausgestellt statt erzählt. Die angeblich traumatischen Erfahrungen – Missbrauch, Gewalt, Ausgrenzung – bleiben Behauptung, nie Erfahrung. Dass man sich dabei ständig an der Oberfläche bewegt, ist symptomatisch für den gesamten Roman.
Die Szene mit den Agenten gerät vollends zur Farce: verkleidete Kinder in einem schlecht finanzierten Filmprojekt, unfreiwillig komisch und völlig unglaubwürdig. Als die Handlung später nach Norwegen verlagert wird, keimt kurz Hoffnung auf, diese wird jedoch rasch von einem naiven, geradezu ahnungslosen Stil erstickt. Black Metal erscheint hier weder als groteske Lächerlichkeit noch als abgründige Bösartigkeit, sondern als Schulhofintrige mit Corpsepaint. Ränkespiele auf Grundschulniveau ersetzen jede Form von psychologischer oder ideologischer Tiefe.
Strukturell wirkt "Unter Wölfen" permanent abgekürzt. Szenen werden angerissen und fallengelassen, Konflikte behauptet statt entwickelt. Tiefe entsteht so keine, dafür breitet sich Belanglosigkeit aus. Der Roman hetzt durch seine Stationen, als fürchte er, zu lange bei einer Idee zu verweilen und sich dabei ernsthaft mit ihr auseinandersetzen zu müssen.
Am irritierendsten bleibt letztlich der Verlag. Dass Rowohlt ein derart unausgegorenes, stilistisch schwaches und inhaltlich naives Buch veröffentlicht, liegt qualitativ weit unter dem Anspruch, den man traditionell mit diesem Namen verbindet. Vielleicht habe ich die Entwicklung des Hauses aus den Augen verloren. "Unter Wölfen" jedenfalls bietet keinen Anlass, sie wieder aufzunehmen.
