Tief verwurzelt in der mystischen und archaischen Tradition ihrer Heimatinsel Sardinien, entfesseln Vultur mit ihrem Black Metal eine urgewaltige, rituelle Klanglandschaft...

Tief verwurzelt in der mystischen und archaischen Tradition ihrer Heimatinsel Sardinien, entfesseln Vultur mit ihrem Black Metal eine urgewaltige, rituelle Klanglandschaft. Die Band taucht in die dunklen Legenden, verlorenen Seelen und heidnischen Riten der Insel ein und formt daraus eine musikalische Beschwörung, die roh, ungezähmt und voller spiritueller Intensität ist. Ihr neues Album "Cultores de Perdas e Linna" ist nicht nur eine Huldigung an die dunkle, magische Seite Sardiniens, sondern auch ein Akt der Bewahrung und Weiterführung einer fast vergessenen Identität.

Im Interview sprechen Vultur über die unheimlichen Geschichten, die ihre Texte inspirieren, die Bedeutung der sardischen Sprache in ihrer Musik und die tiefe Verbindung zwischen Black Metal und kultureller Identität. Ein Gespräch über Rebellion, Spiritualität und die wilde Seele einer Insel, die sich nicht zähmen lässt.

„Cultores de Perdas e Linna“ ist eine kraftvolle Manifestation eurer sardischen Identität. Welche zentralen Themen und Emotionen wolltet ihr mit diesem Album einfangen?


Das Album ist eine Mischung aus verschiedenen Geschichten und verdammten Seelen, die von unserer Insel stammen. Es ist unsere Hommage an die dunkle, magische, archaische, heidnische und sogar diabolische Seite Sardiniens … und wir, in unserer Gegenwart, sind stolz darauf, ein Teil all dessen zu sein.

Das Campidanesische Sardisch als Hauptsprache eurer Texte verleiht eurer Musik eine einzigartige Kraft. Warum habt ihr euch entschieden, diese Tradition bei „Nemini Parco“ zu brechen und Latein sowie Italienisch einzubeziehen? Worum geht es in diesem Song? Er erinnert mich an ein Memento Mori, das ich in Frankreich gesehen habe.

Campidanesisch ist eine der Varianten der sardischen Sprache, die am weitesten verbreitete im Süden der Insel, woher wir stammen. Wir drücken bestimmte Konzepte in dieser Sprache aus, weil sie tief in unserer Seele verankert sind – mit einem radikalen Hass, der sich in keiner anderen Sprache ausdrücken lässt. „Nemini Parco“ ist auf der Sense einer gemalten Darstellung des Todes zu lesen, die sich in der Krypta von San Sepolcro in Cagliari befindet – einem faszinierenden, düsteren Ort, an dem sich Legenden über Templer und Pestopfer verweben. Da dies innerhalb einer Kirche geschieht und die Sprache in diesem Kontext Latein und Italienisch war, wollten wir dieses Gemälde auf diese Weise ehren. Aber ich sage dir noch mehr: Der Text dieses Songs entstand genau so, er kam plötzlich in meinen Kopf, und ich konnte nicht anders, als ihn niederzuschreiben – wie ein Bewusstseinsstrom.

Musikalisch verbindet ihr rohe Aggression mit fast tranceartigen, rituellen Momenten. Welche Einflüsse haben die Entstehung dieses Albums geprägt?

Es ist schwierig, unsere Einflüsse genau zu beschreiben. Natürlich steht klassischer skandinavischer Black Metal an vorderster Front, aber wir hören wirklich alles – alles Ungewöhnliche zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Das Album wurde hauptsächlich von mir und unserem früheren Bassisten Federico Ruggiu geschrieben. Wir sind beide unersättliche Verschlinger von 80er-Thrash, aber auf dem Album hört man diese Einflüsse nicht, weil Thrash ein materialistisches Genre mit klaren Grenzen ist, während Black Metal ein spirituelles Genre ist, das keine Grenzen kennt und in unendliche Territorien vordringt – es eignet sich besser für die Bedürfnisse unserer Seelen. Ein Album, das ich über Jahre hinweg immer wieder gehört habe und das mich entspannt, ist "Nature Unveiled" von Current 93 – es fühlt sich an, als wäre ich im Keller eines alten, verfallenen und verlassenen Klosters voller übernatürlicher Wesenheiten.

Das Artwork mit der Maske „Su Boe“ spiegelt perfekt die dunkle, archaische Atmosphäre eurer Musik wider. Welche Bedeutung hat diese Wahl für euch, und wie tief beeinflusst sardischer Folklore eure Ästhetik?

Su Boe (aus dem Karneval der Stadt Ottana) ist eine der charakteristischsten und ältesten Masken Sardiniens. Sie stellt ein anthropomorphes Rind dar, das zusammen mit Su Merdule (einer weiteren Maske, die einen Mann mit deformiertem, traurigem Gesicht zeigt) ein Ritual inszeniert: Der Mann (Merdule) versucht, das Tier (Boe) mit Seilen und Stöcken zu zähmen. Anfangs scheint Boe sich zu unterwerfen, doch schließlich bricht seine bestialische Natur hervor – er will sich keineswegs diesem Menschen unterwerfen. Boe ist rebellisch, er folgt seinem primitiven, wilden Instinkt und befreit sich von dem, der sein Herr sein wollte. Es ist offensichtlich, dass dies Metaphern für den Menschen in der Gesellschaft sind. Wir fühlen uns eindeutig wie Boe – wir lassen uns nicht zähmen und folgen unserem ursprünglichen Instinkt.

Sardinien ist eine Insel voller Mythen und alter Rituale. Welche traditionellen sardischen Bräuche oder Legenden haben eure Musik inspiriert?

Es fehlt nicht an Inspirationen – wir lassen uns von der mysteriösen Faszination der Nuraghenzeit (Bronzezeit) bis hin zum Zeitalter der Inquisition beeinflussen, aber auch von jüngeren Geschichten okkulter Persönlichkeiten. Die Landschaften und bestimmte verlassene Orte Sardiniens, wie die Nuraghen, die Domus de Janas, die Gigantengräber, alte Nekropolen oder verlassene Friedhöfe, sind eine weitere sehr wichtige Inspirationsquelle.

Der Nuraghen-Kult und die Schatten der Vergangenheit spielen eine bedeutende Rolle in eurer Kunst. Seht ihr eure Musik als eine Art musikalische Beschwörung eurer Vorfahren?

Wir versuchen nicht, zu kommunizieren, sondern weiterzuführen: Unsere Musik ist ein Kanal zur Verbreitung unserer Seelen in dieser historischen Periode – geformt durch diese Ecke der Welt mit all ihren historischen und kulturellen Besonderheiten.

Viele eurer Songs fühlen sich wie rituelle Beschwörungen an. Gibt es spezifische sardische Zeremonien oder Riten, die eure Herangehensweise an das Komponieren beeinflusst haben?

Vielleicht ja, aber das geschieht alles unbewusst.

Eure Musik ist tief in der sardischen Identität verwurzelt. Was haltet ihr von den Bewegungen für mehr Autonomie oder sogar Unabhängigkeit Sardiniens? Spielt das eine Rolle in eurer künstlerischen Vision?

Zunächst möchte ich klarstellen, dass Vultur keine politisierte Band ist, auch wenn die Grenze zu bestimmten Themen sehr schmal ist. Jedes Bandmitglied hat seine eigenen Ansichten, und das war von Anfang an so. Ich spreche also für mich, als historisches Mitglied, das die Band seit 20 Jahren führt … Früher war ich aktiv in einer sardischen Unabhängigkeitsbewegung, aber mittlerweile verfolge ich nichts mehr und habe vor Jahren aufgehört zu wählen, auch wenn ich weiterhin meine Überzeugungen habe – die ich heute eher als romantisch und utopisch betrachte. Mit der Zeit habe ich eine stärkere misanthropische Bewusstheit erlangt.

Black Metal war schon immer ein Genre, das stark mit Lokalität und Identität verbunden ist. Seht ihr euch als musikalische Botschafter Sardiniens oder als Gegenpol zur italienischen Kultur?

Logischerweise stehe ich für Sardinien – eine Insel, die in der Vergangenheit oft schlecht angesehen wurde, als Land der Banditen und groben Hirten, als Ort für Gefängnisse oder zur Verbannung von Dissidenten. Uns wurde eine Geschichte zugeschrieben – oder vielmehr absichtlich gelöscht. Wir wurden zuerst auf psychologischer Ebene kolonisiert, bis Sardinier sich sogar schämten, ihre eigene Sprache zu sprechen. Wir, wie viele unserer sardischen Mitmusiker verschiedenster Genres, wollen zeigen, dass wir existieren – dass wir eine Geschichte, eine Kultur und uralte Traditionen haben. Wir sind weder besser noch schlechter als andere – wir sind einfach, und wir tragen ein kulturelles und historisches Erbe in uns, das im Mittelmeerraum einzigartig ist, während wir gleichzeitig jede andere Kultur und jedes andere Volk respektieren.

Drei Full-Length-Alben in zwanzig Jahren, aber viele kleinere Veröffentlichungen – warum nehmt ihr euch so viel Zeit zwischen euren LPs? Ist das ein bewusster Perfektionismus oder einfach die Natur von Vultur?

Wir haben nie aufgehört – nicht einmal während der Covid-Pandemie. Wir haben in dieser Zeit neues Material aufgenommen, wie die EP "Sa Processioni de is Mortus", und zahlreiche Live-Auftritte absolviert. Das dritte Full-Length-Album kam mit Verzögerung, weil es personelle und logistische Probleme gab, die uns daran hinderten, uns vollständig darauf zu konzentrieren. Inspiration ist ein weiterer entscheidender Faktor – es braucht manchmal Zeit, bis die richtige Konstellation gefunden ist.

Was sind eure Zukunftspläne? Werdet ihr mit eurem neuen Album auf Tour gehen?

Unser Plan ist es, neues Material zu erschaffen und dann so viele Konzerte wie möglich außerhalb Sardiniens zu spielen. Eine Tour ist derzeit noch nicht geplant. Zusätzlich zum neuen Album bringen wir auch eine Collection-CD heraus, die unsere ersten beiden Demos "Sulphureous Abyss" und "Et jaghet cughe s'ossa sua" enthält. Im Booklet findet ihr meine Erzählung über die Ursprünge der Band. Veröffentlicht wird das Ganze von dem chilenischen Label Infernal Overkill Prod. Kontaktiert uns, um ein Exemplar zu ergattern – hier könnt ihr unsere musikalischen Anfänge aus einer äußerst intensiven Zeit erleben!