In den schattigen Hallen der Dunkelheit, dort, wo Mythen und Musik auf mystische Weise ineinander verschmelzen, erhebt sich Ershetu mit ihrem zweiten Werk "Yomi" wie eine uralte Gottheit aus den Tiefen der Unterwelt. Gegründet im Jahre 2021 von den visionären Architekten Void und Sacr, ergründet dieses cineastische Black Metal-Projekt die Todesvorstellungen unterschiedlichster Zivilisationen. Nach ihrem eindrucksvollen Debüt "Xibalba", das tief in die mythischen Erzählungen der Maya eintauchte, hat sich die Band nun einem neuen Reich der Dunkelheit verschrieben – dem japanischen Totenreich "Yomi" und der faszinierenden Welt des Shinto.
"Yomi" ist ein Werk, das mehr als nur Black Metal ist; es ist eine Klangreise durch das uralte japanische Konzept der "kami" – göttliche Wesenheiten, die sowohl die Mächte des Guten als auch des Bösen in sich vereinen. Diese dualistische Natur, die in der japanischen Mythologie tief verankert ist, wird von Sacr meisterhaft in eine symphonische und dunkle Klanglandschaft gewoben. Hier treffen rituelle Trommeln auf filigrane Klänge traditioneller japanischer Instrumente wie Koto und Shamisen, während donnernde Black-Metal-Riffs die Tore zur Unterwelt aufreißen und eine kakophonische Symphonie der Vergänglichkeit entfesseln. Sacrs Kompositionen wirken wie der Klang von Ritualen, die vor den Schatten des Daseins geflüstert werden.
Was "Yomi" so einzigartig macht, ist die künstlerische Reife, die aus jeder Note spricht. Während "Xibalba" den Boden für Ershetus cineastisches Konzept legte, zeigt "Yomi" eine tiefere Dimension – hier wächst die Band, entwickelt sich, nimmt an Kraft und Intensität zu. Es ist, als ob die Musik selbst zur Essenz der "kami" wird, in einem ewigen Tanz zwischen Licht und Finsternis, Leben und Tod.
Die hypnotischen Gesänge und gequälten Schreie von Vindsval, bekannt durch seine Arbeit bei Blut aus Nord, durchdringen das Album wie ein Echo aus den tiefsten Abgründen der Seele. Hier übernimmt er nicht nur Bass und Gitarre, sondern erhebt auch seine Stimme als das gequälte Medium der "kami". Seine Vocals sind nicht nur Ausdruck des Zorns und der Qual, sondern auch der mystischen Erhabenheit, die in den inneren Dialogen dieser göttlichen Wesen mitschwingt. Es ist ein Wechselspiel zwischen Klarheit und Wahnsinn, zwischen Erhabenheit und Zerstörung, das uns in einen tranceartigen Zustand versetzt.
Besonders herausragend ist die symphonische und atmosphärische Tiefe, die sich wie ein dichter Nebel durch das gesamte Album zieht. Sacrs Kompositionen bauen Spannung auf, lösen sie in einer plötzlichen Eruption aus Klang und Chaos wieder auf, nur um den Hörer erneut in ein Labyrinth aus Gedanken und Gefühlen zu führen. Die traditionellen japanischen Instrumente verleihen dem Album eine Authentizität und Tiefe, die sich wie ein zeremonielles Mosaik der Schöpfung und des Zerfalls anfühlt. Es ist, als ob die Geister längst vergangener Krieger und Priester durch die Noten selbst sprechen.
"Yomi" ist nicht einfach nur Musik – es ist ein Tor, ein ritueller Pfad, der uns tiefer in die unermessliche Leere und gleichzeitig in die Erhabenheit des Todes führt. Es zelebriert die dunklen Mysterien des Seins, verwebt kosmische Wahrheit mit musikalischer Wucht und lädt uns ein, Zeugen des unausweichlichen Tanzes der "kami" zu werden. Wo "Xibalba" bereits die Tore zum Jenseits öffnete, führt "Yomi" uns tiefer, weiter in die Ungewissheit, weiter in die Dunkelheit, wo nur noch die Götter und die Toten sich zu fürchten wagen.
Die Produktion von "Yomi" ist dabei ebenso ein Meisterwerk wie die Musik selbst. In den tiefen Katakomben des Earthsound Studios entfaltet sich unter Vindsvals Leitung ein Klangbild, das die Geister der Vergangenheit heraufbeschwört. Bruno Vareas meisterhafte Hand sorgt dafür, dass diese Vision im klanglichen Gewand eines Orakels erstrahlt.
Mit "Yomi" erschafft Ershetu eine schimmernde Kathedrale der Dunkelheit, ein Monument an die Totenrituale und göttlichen Wesen des Shinto. Dieses Album ist kein Werk für die seichten Gewässer des Black Metal – es fordert, es verschlingt, es wandelt in den tiefsten Schatten der menschlichen Existenz und lässt uns doch staunend vor der Schönheit des Unvermeidlichen verharren. Ershetu erhebt sich hiermit endgültig als eine Macht, die nicht ignoriert werden kann, ein wahrhaft göttliches Mysterium inmitten der Klänge des Verfalls.
Albuminfo
Punkte |
4/5 |
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Label |
Debemur Morti |
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Veröffentlichung |
11/2024 |
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Format |
CD |
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Land |
Norwegen/Frankreich | |
Genre |
Progressive Black Metal |
Tracklist
01. Ketsurui 6:50
02. Jikoku 7:11
03. Sekiryō 7:18
04. Abikyōkan 7:45
05. Kagutsuchi 7:47
06. Nenokatasukuni 9:07